CVC Report Trend 4: Wissensaustausch Kernorganisation ‹› Start-up

Februar 2024

Fee Gunkel

DAS DILEMMA DER CVC-EINHEIT

Warum die Generierung von strategischem und finanziellem Mehrwert nur mit Pull aus der Kernorganisation gelingt

Unternehmen rufen Corporate Venture Capital (CVC) -Einheiten aus einem strategischen Grund ins Leben: Durch Investitionen in Start-ups möchten sie näher an die Start-up Welt herantreten, innovative Technologien und disruptive Geschäftsmodelle frühzeitig identifizieren und so langfristig ihr Kerngeschäft stärken. Eine Zielsetzung, die sehr schlüssig klingt – in den wenigsten Fällen jedoch leicht umzusetzen ist.

DAS DILEMMA DER CVC-EINHEIT: ZUSTÄNDIGKEIT VS. EINFLUSS.

Die Aufgabe der CVC-Einheit besteht folglich darin, durch gezielte Investitionen in die „besten“ Start-ups sowohl einen strategischen Mehrwert als auch einen finanziellen Mehrwert (in Form eines möglichst hohen „Return on Investment“) für die Kernorganisation zu erzielen. Die Zielformulierung für die CVC-Einheit ist eindeutig – die Zielerreichung hingegen liegt jedoch nur teilweise in ihrer Macht (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1 | Der Erfolg der CVC-Einheit ist von dem Wissensaustausch zwischen Start-ups und Kernorganisation abhängig

Erzielung eines hohen Returns on Investment

Die Basis für den finanziellen Erfolg der Start-up Investments bilden die Investment-Professionals der CVC-Einheiten, die durch ihre langjährige Investment-Expertise das Start-up Portfolio bestmöglich managen. Die Chance auf darüber hinaus gehende Rendite, d.h. das „Outperforming“-Potenzial gegenüber klassischen VCs, basiert jedoch auf dem Industrie-Know How der Kernorganisation: Diese kann z.B. aufgrund ihrer tiefen Nischenexpertise bei der Bewertung von Start-ups im Rahmen der Due Diligence unterstützen (mehr dazu siehe Trend 3 › www.muecke-roth.de/de/news/cvc-report-trend-3). Bleibt diese Unterstützung aus, kann das zusätzliche Renditepotenzial nicht gehoben werden – und der finanzielle Mehrwert fällt geringer aus, als er könnte.

Erzielung von strategischem Mehrwert

Bei der Erzielung von strategischem Mehrwert können CVC-Einheiten die Kernorganisation unterstützen, indem sie ihr durch ihre Markt-Expertise eine Übersicht über aktuelle Entwicklungen und Technologien am Markt und damit eine Orientierungshilfe zu strategischen Fragestellungen verschaffen. Doch „strategischer Mehrwert“ bedeutet weit mehr: Differenzierung und Wettbewerbsvorteile. Das heißt zum Beispiel der Zugang zu innovativen Ideen und Technologien von Start-ups und deren Ökosystemen, die Image-Steigerung durch Vermarktung innovativer Leuchtturmprojekte oder die Aufnahme innovativer, agiler Denk- & Arbeitsweisen. Dieser strategische Mehrwert kann nicht durch die CVC-Einheiten alleine realisiert werden: Er erfolgt durch den Wissensaustausch zwischen Kernorganisation und Start-ups. Findet dieser Wissensaustausch nicht statt, geht der strategische Mehrwert des Investments für die Kernorganisation verloren.


Auch für die Start-ups geht ohne Wissensaustausch mit der Kernorganisation Mehrwert verloren: Davon ausgehend, dass die CVC-Einheiten sehr gute Arbeit leisten und hoch professionelle Investment-Entscheidungen treffen, kann sich ein gutes Start-up (d.h. ein Start-up, das frei über seine Investoren entscheiden kann) bewusst für einen Corporate Investor statt für einen rein finanziellen Investor entscheiden. In diesem Fall erwarten die Start-ups vom Unternehmen eine Unterstützung bei der Skalierung ihres Start-ups, zum Beispiel durch operative Synergien und den Zugang zu Assets wie v.a. Kunden, Lieferanten, Technologien und Facilities. Fällt diese Unterstützung seitens der Kernorganisation aus, werden nicht nur der strategische Mehrwert, sondern auch das Ansehen und die zukünftigen Investments der CVC-Einheit riskiert. Wird das Wachstumspotenzial des Start-ups ohne Unterstützung der Kernorganisation nicht vollständig ausgeschöpft, bleibt auch der finanzielle Mehrwert des Investments (ROI) hinter den Erwartungen zurück.


Zusammenfassend bleibt ohne funktionierenden Wissensaustausch zwischen Kernorganisation und Start-ups potenzieller Mehrwert ungenutzt - sowohl für die Kernorganisation als auch für die Start-ups als auch für die CVC-Einheit. Die besondere Schwierigkeit der CVC-Einheiten besteht darin, dass sie zwar für die Ziele, die mit dem Wissensaustausch verbunden sind, verantwortlich sind, die Realisierung des Wissensaustauschs jedoch lediglich in die Wege leiten können - die Umsetzung liegt außerhalb ihres Einflussbereichs.

HEMMNISFAKTOREN DES WISSENSAUSTAUSCHS.

Während die Relevanz des Wissensaustauschs zur Mehrwertgenerierung in der Theorie klar abbildbar ist, ist die Umsetzung in der Realität oftmals enttäuschend. Die Ursache liegt meist nicht bei den Start-ups, denn diese erwarten von ihrem Corporate Investor in der Regel einen aktiven Austausch zur Wachstumsunterstützung und fordern diesen auch aktiv ein. Vorwiegend ist es die Kernorganisation, die wenig Interesse an einem Austausch zeigt. Der Grund hierfür liegt oft in einer fehlenden Verankerung im Unternehmen: Wenn weder Voraussetzungen noch Anreize für einen Wissensaustausch mit Start-ups gegeben sind, fehlen Möglichkeiten und Interesse. Meist sind es vor allem die folgenden Hemmnisfaktoren, die in der Kernorganisation einem erfolgreichen Wissensaustausch mit Start-ups entgegenwirken:

  1. Fehlende Verantwortlichkeit: Oftmals ist die Zuständigkeit für den Wissensaustausch mit Start-ups im Tagesgeschäft der Kernorganisation nicht klar festgelegt. Ohne explizite Verantwortung ergreifen nur wenige Mitarbeiter Initiative.
  2. Fehlende Incentivierung: Zusammenhängend ist in vielen Kernorganisationen der Wissensaustausch mit Start-ups nicht in den Zielen der einzelnen Business Units abgebildet: Zum einen sind die fachlichen Ziele der Business Unit manchmal so definiert, dass Start-ups keinen Beitrag zur Zielerreichung leisten können und somit für die Mitarbeiter kein Anlass zum Austausch besteht (siehe Punkt 3). Zum anderen ist die Skalierungsunterstützung der Start-ups oftmals nicht in die Ziele und Aufgaben der Business Units integriert, sodass ein Wissensaustausch als zusätzlicher Aufwand im operativen Tagesgeschäft empfunden wird.
  3. Blockaden und Barrieren: Zum Teil existieren in Unternehmen Barrieren, die den Austausch mit Start-ups erschweren oder sogar unmöglich machen. Werden Forschungs- & Entwicklungseinheiten bspw. nur an intern entwickelten Lösungen gemessen und incentiviert – während extern oder in Kooperation entwickelte Lösungen als „Konkurrenzlösung“ nachteilig bewertet werden – entsteht die Sicht auf Start-ups als „Bedrohung“ für die eigene Abteilung und folglich eine ganz klare Ablehnung der Zusammenarbeit.
  4. Fehlendes Bewusstsein: Selbst wenn die Ziele der Business Units so definiert sind, dass sie in der Zusammenarbeit mit Start-ups effizienter und effektiver erreicht werden können, fehlt in vielen Kernorganisationen oft das allgemeine Bewusstsein dafür, dass dies möglich ist. Erkennen die Mitarbeiter Start-ups nicht als Mittel für ihre persönliche Zielerreichung, sehen sie keinen direkten Vorteil im Austausch mit den Start-ups.
  5. Lange Kommunikationswege: Oftmals erfordern die gegebenen Strukturen und Prozesse in der Kernorganisation lange Kommunikations- & Entscheidungswege, die den Austausch mit Start-ups verlangsamen. Dies kann nicht nur das Wachstumspotenzial der Start-ups hemmen, sondern sogar ein Risiko für Start-ups darstellen, die auf Schnelligkeit und Agilität in ihrem hohen Wettbewerbsumfeld angewiesen sind.

„PULL“-GENERIERUNG ALS ERFOLGSFAKTOR.

Um das Interesse der Kernorganisation an einem Wissensaustausch mit Start-ups zu wecken, muss ein Bedarf zum Austausch erzeugt werden. Dieser Bedarf stellt sich nicht automatisch ein, er muss sorgsam und ganzheitlich in den Strukturen und Prozessen der Kernorganisation verankert werden: Sei es durch die Etablierung entsprechender Rollen und
Verantwortlichkeiten in relevanten Business Units oder durch Nachsteuerung entsprechender KPIs (z.B. bzgl. Innovationen). Generiert der Wissensaustausch mit Start-ups für die Mitarbeiter der Kernorganisation einen direkten Mehrwert, werden sie diesen von sich aus proaktiv suchen: Ein sogenannter „Pull-Effekt“ entsteht.

An dieser Stelle ist es wichtig, auch den Wissensaustausch zwischen Kernorganisation und CVC-Einheit nicht aus den Augen zu verlieren (siehe Trend 3 › www.muecke-roth.de/de/news/cvc-report-trend-3): Denn damit die Kernorganisation sich mit den richtigen Start-ups mehrwertstiftend austauschen kann, muss die CVC-Einheit erstmal in die richtigen Start-ups investieren – und umgekehrt muss der Kernorganisation das Bestandsportfolio bekannt sein. So ist es entscheidend, durch Schaffen gemeinsamer Ziele, überschneidender Aufgabenfelder und unternehmensweiter Transparenz zunächst das aktive Zugehen der Kernorganisation auf die CVC-Einheit zu stärken. Dabei können Mechanismen, Tools und Prozesse die operative Umsetzung im Tagesgeschäft vereinfachen. Ein internes Tool zum Wissensmanagement kann bspw. dafür genutzt werden, für ein bestimmtes Vorhaben einer Business Unit relevante Start-ups aus dem bestehenden Investmentportfolio der CVC-Einheit herauszufiltern (z.B. für die Einführung eines vertriebsunterstützenden Chatbots auf der Website). Kurze Slots in Regelterminen der Kernorganisation können dazu dienen, über neueste Start-up Investments der CVC-Einheit regelmäßig zu berichten. Zudem kann eine Umsetzung von Leuchtturmprojekten demonstrieren, wie mit Hilfe von Start-ups die Ziele einzelner Business Units besser und schneller erreicht werden können.


FAZIT


Für die Realisierung von strategischem und finanziellem Mehrwert durch Start-up Investments ist es essenziell, die Abhängigkeiten des Erfolgs zwischen CVC-Einheit, Kernorganisation und Start-ups zu verstehen und ganzheitlich im Unternehmen zu adressieren. Es genügt nicht, die CVC-Einheit als zuständig für strategischen und finanziellen Mehrwert zu erklären, denn die Realisierung dieses Mehrwerts ist vor allem von einem funktionierenden Wissensaustausch zwischen der Kernorganisation und den Start-ups abhängig. Dieser wird jedoch aktuell in vielen Unternehmen durch verschiedene Faktoren gehemmt. Die Folge: wertvolles Potenzial bleibt ungenutzt. Sind sich Unternehmen diesen Herausforderungen bewusst, können sie aktiv dagegenwirken. Dabei gibt es keine „Blaupause“ – die Umsetzung hängt stark von der jeweiligen Unternehmenssituation ab. Kernelement ist jedoch, den Bedarf zum Austausch in der Kernorganisation zu wecken. Denn nur, wenn die Mitarbeiter motiviert, incentiviert und befähigt werden, außerhalb der Kernorganisation auf die Suche nach innovativen Lösungen zu gehen, kann eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Kernorganisation, CVC-Einheit und Start-ups entstehen und nachhaltiger Erfolg für alle Beteiligten gewährleistet werden.

AUSBLICK


CVC-Einheiten haben eine strategische Gründungshistorie, müssen jedoch wie klassische Investment Professionals agieren, um den finanziellen Mehrwert der Investments sicherzustellen. Um hier am Markt mithalten und gegenüber klassischen VCs bestehen zu können, benötigen CVC-Einheiten andere Governance-Strukturen als die Kernorganisation: Schnelligkeit und Agilität sind Grundvoraussetzung, um Investmentmöglichkeiten zeitnah ergreifen zu können. Mit diesem Thema befasst sich der nächste Artikel der Serie.


ÜBER MRC.

Mücke Roth & Company ist eine inhabergeführte Unternehmensberatung im Herzen Münchens mit ca. 50 festangestellten Professionals und über 70 selbstständigen Branchenexperten. Seit 2003 schaffen wir Wachstum für unsere Kunden, indem wir bei Strategieentwicklung und Umsetzung "hands-on" begleiten. In unseren Beratungsteams vereinen wir langjährige operative Praxiserfahrungen, Branchen Know-how und methodische Beratungsexpertise. Darüber hinaus sind wir als seit 2015 als Start-up-Investor tätig und begleiten unsere Beteiligungs-Unternehmen langfristig als Investor, Inputgeber und Challenger.

ÜBER DIE CVC-TRENDREPORT METHODIK.

Der CVC-Trendreport 2023 bietet Einblicke in das deutsche Corporate Venture Capital (CVC) Ökosystem. Er stützt sich auf 25 Interviews durchgeführt von Mücke Roth & Company mit Corporate Venture Capital-Einheiten, Konzernen, Mittelständlern, Start-ups und Venture-Capital-Firmen. Die Ergebnisse der Interviews wurden in sechs Trend-Insights konsolidiert. Diese bieten wertvolle Erkenntnisse für die CVC-Branche sowie für ambitionierte Unternehmen, die sich mit diesem Thema befassen möchten.

Fee Gunkel

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