Forderungsmanagement im Wandel

Einen unterschätzten Hebel neu denken – 10 Glaubenssätze aus der MRC-Projekterfahrung

JULI 2025

Raphael Walter

Luigi Bianco

Stefan Paul

Ein effektives Forderungsmanagement entscheidet mitunter maßgeblich über finanzielle Stabilität und eine verlässliche Liquiditätsplanung von Unternehmen, indem es sicherstellt, dass vertraglich vereinbarte Zahlungsströme tatsächlich eingehen.

Trotz signifikanter finanzieller Auswirkungen wird das Forderungsmanagement in vielen Organisationen häufig auf das operative Inkasso reduziert. Es fehlt an strategischer Einbindung, technischer Integration und übergreifender Governance. Zudem gilt das Thema als prozessual aufwendig, kulturell sperrig und kommunikativ wenig anschlussfähig – kurz: kein strategisch attraktives Spielfeld.  

Gestiegene Kosten, gebundenes Kapital in der Beschaffung und volatile Märkte setzen die Finanzierungsfähigkeit in Unternehmen unter Druck. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland ist im 1. Halbjahr 2025 auf den höchsten Stand seit zehn Jahren gestiegen (9,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum (1. Halbjahr 2024: 10.880 Fälle).¹ Bereits im Vorjahr war ein Zuwachs von 28,5 Prozent zu verzeichnen. Die gestiegene Zahl an Unternehmensinsolvenzen führte im Jahr 2024 zu einer Schadenssumme von über 56,0 Mrd. Euro – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr (31,2 Mrd. Euro).¹ Dieser Anstieg ist vor allem auf zahlreiche Großinsolvenzen zurückzuführen, wodurch Rechnungen nicht mehr bezahlt werden konnten und somit besonders hohe Forderungsausfälle entstanden.¹ Energieversorger sind hierbei besonders betroffen, da sie mit hohen Vorleistungen operieren, während Zahlungsverzüge oder -ausfälle auf der Kundenseite direkt auf die Liquidität durchschlagen. Die Zeitung für kommunale Wirtschaft bewertet beispielsweise Forderungsausfallrisiken bei Stadtwerke-Kunden aktuell so hoch wie nie.² Zudem verschärfen Herausforderungen wie verspätete Fakturierung, manuell geführte Mahnprozesse und fehlende Eskalationslogiken angespannte Liquiditätsverhältnisse.

Änderungen in der Regulatorik, wie die ab 2025 verpflichtende E-Rechnungspflicht, stellen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen vor operative und technologische Herausforderungen. Gleichzeitig bieten sie die Chance, Prozesse zu standardisieren, digitale Schnittstellen auszubauen und das Forderungsmanagement effizienter aufzustellen.

Parallel dazu verschärft sich im Privatkundensegment die externe Risikolage. Im ersten Quartal 2025 wurden laut Schufa über 160.000 Personen erstmals negativ vermerkt – ein Rekordwert. Besonders junge Zielgruppen verfehlen zunehmend Zahlungsziele bei Raten- und Rechnungskäufen, und auch die Verbraucherinsolvenzen steigen kontinuierlich. Das erhöht die Ausfallrisiken und erschwert die Planbarkeit für Unternehmen.

Auch das Geschäftskundensegment ist betroffen: Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen stieg 2024 um 22,4 % auf 21.812 Fälle. Für 2025 wird ein weiterer Anstieg um rund 15 % prognostiziert.³ Besonders stark betroffen sind größere Unternehmen. Diese Dynamik verdeutlicht die steigenden Risiken auch im B2B-Forderungsmanagement.

Ein systematisch implementiertes und strategisch verankertes Forderungsmanagement ist daher gerade in einem wirtschaftlichen Umfeld, das durch Unsicherheit, hohe Volatilität im Kundenumfeld und digitale Umbrüche geprägt ist, ein unterschätzter, aber wirkungsvoller Hebel für die Liquidität. In unseren Projekten treffen wir regelmäßig auf Ausfallquoten von über 10 %. In diesem Spannungsfeld gewinnen bestimmte Grundhaltungen und Handlungsprinzipien an Bedeutung. Auf Basis dieser Erfahrungen haben wir zehn zentrale Glaubenssätze entwickelt, die sich in der Praxis bewährt haben und einen messbaren Beitrag zur Reduzierung von Forderungsausfällen leisten.

1.
management

Forderungsmanagement ist Chefsache

Ein wirksames Forderungsmanagement erfordert strategische Verankerung auf C-Level. Nur wenn Finanzstabilität, Risikosteuerung und Kundenbindung als integrierte Führungsaufgabe verstanden werden, gewinnt das Forderungsmanagement über das Tagesgeschäft hinaus an strategischer Relevanz. Dazu gehören auch: klare Zielbilder, bereichsübergreifende Zuständigkeiten und transparente Steuerungslogiken.

2.
iteration

Forderungsmanagement beginnt in den vorgelagerten Prozessen

Ein erheblicher Teil überfälliger offener Posten entsteht durch Fehler in vorgelagerten Abläufen wie Fakturierung, Datenmanagement oder Vertragsgestaltung. Gerade bei wachsender regulatorischer Dichte (E-Rechnung, fehlende DSGVO-Konformität, etc.) und zunehmender Komplexität muss die Prozessqualität vom Vertragsabschluss bis zum vollständigen Zahlungseingang strukturell abgesichert werden – inklusive sauberer Schnittstellen, Fristlogiken und Übergabepunkte.

3.
risk

Wer Risiken nur verwaltet, verliert Handlungsspielräume – wer sie steuert, gewinnt Kontrolle

Ein modernes Forderungsmanagement beginnt nicht bei der Mahnung, sondern bei der Risikosteuerung. Systematische Bonitätsprüfungen – sowohl bei Neukunden als auch im Bestand – sind ebenso erforderlich wie Kreditlimits, Vorkasselogiken oder der gezielte Einsatz von Warenkreditversicherungen. Damit lassen sich Ausfälle präventiv vorbeugen – bevor überhaupt ein Forderungsausfall entsteht. Auch im Geschäftskundensegment verschärft sich die Lage zunehmend. Die Zahl der Insolvenzen steigt, und selbst langjährige Geschäftsbeziehungen bergen ein erhöhtes Ausfallrisiko.

4.
system

Prozesse brauchen System – nicht Intuition

Viele Unternehmen verlassen sich auf individuelle Routinen oder personengebundene Expertise. Stattdessen braucht es standardisierte Mahnprozesse, klare Eskalationsstufen und eine saubere Automatisierung – von der Rechnungsstellung bis zur Übergabe an Inkassodienstleister. Insbesondere durch digitale Tools und ERPSchnittstellen lassen sich Fehlerquellen reduzieren und Ressourcen effizienter nutzen.

5.
money

Lieber gut eingekauft als schlecht selbst gemacht

Die Zusammenarbeit mit Inkassodienstleistern schont interne Ressourcen und ermöglicht den skalierbaren Einsatz externer Experten mit höherer Erfolgschance.

Inkasso- oder Forderungskaufmodelle können eine wirkungsvolle Ergänzung interner Prozesse sein – vorausgesetzt, sie sind systematisch gesteuert und transparent über unternehmenseigene IT-Schnittstellen eingebunden. Externe Partner sollten über klare Übergabekriterien (SLAs), vertraglich fixierte KPIs und standardisierte Kommunikationsprozesse verfügen. In der Praxis bewährt sich insbesondere ein Inkasso-Benchmarking: Zwei Dienstleister werden parallel beauftragt, bewusst im Wettbewerb zueinander geführt und über ein präzises Performance-Tracking kontinuierlich verglichen – um Skaleneffekte mit Qualitätsanreizen zu verbinden.

6.
transaction

Jede Zahlung ist besser als keine Zahlung

Sperrungen oder gerichtliche Schritte verursachen Kosten, Imageschäden und Kundenverluste. Neben Ratenzahlungsvereinbarungen und temporären Stundungen ist insbesondere die „Portfoliosteuerung nach Zahlungsverhalten“ bei risikobehafteten Kundengruppen ein wirksamer Hebel.

Typische Maßnahmen in der Telekommunikationsbranche sind zum Beispiel:

  • Umstellung auf Prepaid-Tarife
  • Angebot von Basistarifen mit höherer Grundgebühr, aber niedrigeren Verbrauchskosten
  • Begrenzung der Warenkorbgröße sowie gezielte Steuerung des Warenkorbmix
  • Einführung kürzerer Vertragslaufzeiten

Voraussetzung ist die Fähigkeit zur Differenzierung: Die Wirksamkeit solcher Modelle steigt mit der Fähigkeit, gefährdete Kundengruppen frühzeitig zu identifizieren.

7.
payment-method

Nicht „gutes“ Geld, „schlechtem“ hinterherwerfen

Die Einführung wertebezogener Entscheidungsgrenzen für den Forderungsverzicht verhindert unnötige Ausgaben für die Klärung aussichtsloser Fälle.

Nicht jede Forderung rechtfertigt den vollen Klärungsund Durchsetzungsaufwand. Bei geringem wirtschaftlichem Wert, wiederholtem Klärungsbedarf oder absehbar geringer Realisierungswahrscheinlichkeit ist ein gezielter Verzicht oft effizienter als eine Fortsetzung des Prozesses – insbesondere, wenn sich der Ressourcenaufwand für die Fallklärung nicht mehr rentiert. Professionelle Abbruchkriterien – etwa Mindestbeträge, definierte Fallkonstellationen oder systemgestützte Schwellenwerte – ermöglichen eine klare Priorisierung. Als ergänzende Maßnahme kann in ausgewählten Fällen auch ein Forderungsverkauf sinnvoll sein, um Liquidität zu sichern und Prozesskosten zu vermeiden.

8.
press-release

"Wer Wind sät, kann Sh*t-Storm ernten"

Auch berechtigte Kündigungen oder Sperrandrohungen können beim falschen Empfänger zu medialer Aufmerksamkeit führen.

Gerade bei empfindlichen Maßnahmen – wie Sperrandrohungen von Energieversorgern oder gerichtlichen Verfahren – ist eine Bewertung reputationsrelevanter Risiken notwendig. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) forderte beispielsweise während der Lockdown-Phasen der Corona-Pandemie Strom- und Gassperren auszusetzen.⁴ In Situationen mit medialem Eskalationspotenzial sollte Forderungsmanagement proaktiv kritische Fälle erkennen und in Abstimmung mit Kundenservice und Rechtsabteilung adressieren. Klar definierte Eskalationsstufen, spezifische Prüfprozesse für risikobehaftete Kundengruppen sowie Freigabeprozesse für Maßnahmen mit potenzieller Öffentlichkeitswirkung sollten strukturiert in den Entscheidungsprozess integriert werden. Zusätzlich trägt eine professionelle, transparente und zielgruppenadäquate Kommunikation entscheidend zur Vermeidung von Zahlungsausfällen bei.

9.
book

Den Kunden kennen

Eine effektive Kundensegmentierung bildet das Fundament erfolgreichen Forderungsmanagements. Die systematische Kategorisierung nach Kundenwert, Zahlungshistorie und Risikoprofil ermöglicht differenzierte Betreuungsstrategien und optimierte Ressourcenallokation. Hochwertige Kunden mit temporären Zahlungsschwierigkeiten erhalten andere Aufmerksamkeit als Kleinkunden mit chronischen Zahlungsproblemen. Gleichzeitig erlaubt eine fundierte Segmentierung die Identifikation von Kunden, die für präventive Maßnahmen geeignet sind, sowie solcher, bei denen schnelle Eskalation wirtschaftlich sinnvoll ist. Diese datengetriebene Herangehensweise maximiert sowohl Einzugsquoten als auch Kundenzufriedenheit bei gleichzeitiger Kostenoptimierung.

10.
empathy

Den richtigen Mix aus Empathie und Unberechenbarkeit finden

Das moderne Forderungsmanagement erfordert einen ausbalancierten Ansatz zwischen Empathie und strategischer Unberechenbarkeit. Zahlungsunfähige Kunden benötigen verständnisvolle Kommunikation und flexible Lösungen wie Ratenzahlungen oder Stundungen. Zahlungsunwillige Kunden nutzen Informationen – z. B. aus Foren oder Erfahrungsberichten – um gezielt zu lernen, wie man Forderungsprozesse aushebelt oder hinauszögert. Hier ist eine gewisse Unberechenbarkeit in Timing, Intensität und Art der Maßnahmen erforderlich, um solche Taktiken zu durchbrechen. Diese duale Herangehensweise verhindert sowohl die Entfremdung zahlungswilliger (aber temporär zahlungsunfähiger Kunden) als auch die systematische Ausnutzung vorhersagbarer Prozesse durch zahlungsunwillige Kunden.

QUELLEN.

¹Creditreform Wirtschaftsforschung: Unternehmensinsolvenzen in Deutschland – 1. Halbjahr 2025, 26.06.2025,

https://www.creditreform.de/fileadmin/user_upload/central_files/News/News_Wirtschaftsforschung/2025/Insolvenzen_in_
Deutschland/2025-06-26_AY_OE_analyse_UE-halbjahr-2025.pdf

²ZfK/Redaktion: Forderungsausfall-Risiken von Stadtwerke-Kunden aktuell so hoch wie nie, 21.11.2024, Forderungsausfall-Risiken bei Stadtwerke-Kunden aktuell so hoch wie nie: Zeitung für kommunale Wirtschaft.

https://www.zfk.de/unternehmen/nachrichten/forderungsausfall-risiken-von-stadtwerke-kunden-aktuell-so-hoch-wie-nie

³Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: Wirtschaftliche Lage in Deutschland im April 2025, 24.04.2025,

https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/Redaktion/DE/Schlaglichter-der-Wirtschaftspolitik/2025/04/09-wirtschaftliche-lage.html

⁴Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv): Moratorium für Energiesperren, 01.12.2020,

https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2020/12/03/2020_12_01_stn_vzbv_energiesperren_corona_fin.pdf

Raphael Walter

MRC Senior Consultant im Geschäftsfeld Energiewirtschaft und Experte für Forderungsmanagement.

Luigi Bianco

MRC Advisor und Senior Experte für Forderungsmanagement, sowie Gründer und Managing Partner der BIANCO & PARTNER Unternehmensberatung.

Stefan Paul

MRC Senior Experte für Forderungsmanagement, sowie Gründer und Managing Partner der WCCP Management Beratung

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