Ein effektives Forderungsmanagement entscheidet mitunter maßgeblich über finanzielle Stabilität und eine verlässliche Liquiditätsplanung von Unternehmen, indem es sicherstellt, dass vertraglich vereinbarte Zahlungsströme tatsächlich eingehen.
Trotz signifikanter finanzieller Auswirkungen wird das Forderungsmanagement in vielen Organisationen häufig auf das operative Inkasso reduziert. Es fehlt an strategischer Einbindung, technischer Integration und übergreifender Governance. Zudem gilt das Thema als prozessual aufwendig, kulturell sperrig und kommunikativ wenig anschlussfähig – kurz: kein strategisch attraktives Spielfeld.
Gestiegene Kosten, gebundenes Kapital in der Beschaffung und volatile Märkte setzen die Finanzierungsfähigkeit in Unternehmen unter Druck. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland ist im 1. Halbjahr 2025 auf den höchsten Stand seit zehn Jahren gestiegen (9,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum (1. Halbjahr 2024: 10.880 Fälle).¹ Bereits im Vorjahr war ein Zuwachs von 28,5 Prozent zu verzeichnen. Die gestiegene Zahl an Unternehmensinsolvenzen führte im Jahr 2024 zu einer Schadenssumme von über 56,0 Mrd. Euro – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr (31,2 Mrd. Euro).¹ Dieser Anstieg ist vor allem auf zahlreiche Großinsolvenzen zurückzuführen, wodurch Rechnungen nicht mehr bezahlt werden konnten und somit besonders hohe Forderungsausfälle entstanden.¹ Energieversorger sind hierbei besonders betroffen, da sie mit hohen Vorleistungen operieren, während Zahlungsverzüge oder -ausfälle auf der Kundenseite direkt auf die Liquidität durchschlagen. Die Zeitung für kommunale Wirtschaft bewertet beispielsweise Forderungsausfallrisiken bei Stadtwerke-Kunden aktuell so hoch wie nie.² Zudem verschärfen Herausforderungen wie verspätete Fakturierung, manuell geführte Mahnprozesse und fehlende Eskalationslogiken angespannte Liquiditätsverhältnisse.
Änderungen in der Regulatorik, wie die ab 2025 verpflichtende E-Rechnungspflicht, stellen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen vor operative und technologische Herausforderungen. Gleichzeitig bieten sie die Chance, Prozesse zu standardisieren, digitale Schnittstellen auszubauen und das Forderungsmanagement effizienter aufzustellen.
Parallel dazu verschärft sich im Privatkundensegment die externe Risikolage. Im ersten Quartal 2025 wurden laut Schufa über 160.000 Personen erstmals negativ vermerkt – ein Rekordwert. Besonders junge Zielgruppen verfehlen zunehmend Zahlungsziele bei Raten- und Rechnungskäufen, und auch die Verbraucherinsolvenzen steigen kontinuierlich. Das erhöht die Ausfallrisiken und erschwert die Planbarkeit für Unternehmen.
Auch das Geschäftskundensegment ist betroffen: Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen stieg 2024 um 22,4 % auf 21.812 Fälle. Für 2025 wird ein weiterer Anstieg um rund 15 % prognostiziert.³ Besonders stark betroffen sind größere Unternehmen. Diese Dynamik verdeutlicht die steigenden Risiken auch im B2B-Forderungsmanagement.
Ein systematisch implementiertes und strategisch verankertes Forderungsmanagement ist daher gerade in einem wirtschaftlichen Umfeld, das durch Unsicherheit, hohe Volatilität im Kundenumfeld und digitale Umbrüche geprägt ist, ein unterschätzter, aber wirkungsvoller Hebel für die Liquidität. In unseren Projekten treffen wir regelmäßig auf Ausfallquoten von über 10 %. In diesem Spannungsfeld gewinnen bestimmte Grundhaltungen und Handlungsprinzipien an Bedeutung. Auf Basis dieser Erfahrungen haben wir zehn zentrale Glaubenssätze entwickelt, die sich in der Praxis bewährt haben und einen messbaren Beitrag zur Reduzierung von Forderungsausfällen leisten.
1.
Forderungsmanagement ist Chefsache
Ein wirksames Forderungsmanagement erfordert strategische Verankerung auf C-Level. Nur wenn Finanzstabilität, Risikosteuerung und Kundenbindung als integrierte Führungsaufgabe verstanden werden, gewinnt das Forderungsmanagement über das Tagesgeschäft hinaus an strategischer Relevanz. Dazu gehören auch: klare Zielbilder, bereichsübergreifende Zuständigkeiten und transparente Steuerungslogiken.
2.
Forderungsmanagement beginnt in den vorgelagerten Prozessen
Ein erheblicher Teil überfälliger offener Posten entsteht durch Fehler in vorgelagerten Abläufen wie Fakturierung, Datenmanagement oder Vertragsgestaltung. Gerade bei wachsender regulatorischer Dichte (E-Rechnung, fehlende DSGVO-Konformität, etc.) und zunehmender Komplexität muss die Prozessqualität vom Vertragsabschluss bis zum vollständigen Zahlungseingang strukturell abgesichert werden – inklusive sauberer Schnittstellen, Fristlogiken und Übergabepunkte.
3.
Wer Risiken nur verwaltet, verliert Handlungsspielräume – wer sie steuert, gewinnt Kontrolle
Ein modernes Forderungsmanagement beginnt nicht
bei der Mahnung, sondern bei der Risikosteuerung. Systematische
Bonitätsprüfungen – sowohl bei Neukunden
als auch im Bestand – sind ebenso erforderlich wie Kreditlimits,
Vorkasselogiken oder der gezielte Einsatz von
Warenkreditversicherungen. Damit lassen sich Ausfälle
präventiv vorbeugen – bevor überhaupt ein Forderungsausfall
entsteht. Auch im Geschäftskundensegment
verschärft sich die Lage zunehmend. Die Zahl der Insolvenzen
steigt, und selbst langjährige Geschäftsbeziehungen
bergen ein erhöhtes Ausfallrisiko.
4.
Prozesse brauchen System – nicht Intuition
Viele Unternehmen verlassen sich auf individuelle Routinen
oder personengebundene Expertise. Stattdessen
braucht es standardisierte Mahnprozesse, klare Eskalationsstufen
und eine saubere Automatisierung – von
der Rechnungsstellung bis zur Übergabe an Inkassodienstleister.
Insbesondere durch digitale Tools und ERPSchnittstellen
lassen sich Fehlerquellen reduzieren und
Ressourcen effizienter nutzen.
5.
Lieber gut eingekauft als schlecht selbst gemacht
Die Zusammenarbeit mit Inkassodienstleistern schont
interne Ressourcen und ermöglicht den skalierbaren
Einsatz externer Experten mit höherer Erfolgschance.
Inkasso- oder Forderungskaufmodelle können eine wirkungsvolle
Ergänzung interner Prozesse sein – vorausgesetzt,
sie sind systematisch gesteuert und transparent
über unternehmenseigene IT-Schnittstellen eingebunden.
Externe Partner sollten über klare Übergabekriterien
(SLAs), vertraglich fixierte KPIs und standardisierte
Kommunikationsprozesse verfügen. In der Praxis
bewährt sich insbesondere ein Inkasso-Benchmarking:
Zwei Dienstleister werden parallel beauftragt, bewusst
im Wettbewerb zueinander geführt und über ein präzises
Performance-Tracking kontinuierlich verglichen – um
Skaleneffekte mit Qualitätsanreizen zu verbinden.
6.
Jede Zahlung ist besser als keine Zahlung
Sperrungen oder gerichtliche Schritte verursachen Kosten, Imageschäden und Kundenverluste.
Neben Ratenzahlungsvereinbarungen und temporären Stundungen ist insbesondere die
„Portfoliosteuerung nach Zahlungsverhalten“ bei risikobehafteten Kundengruppen ein wirksamer Hebel.
Typische Maßnahmen in der Telekommunikationsbranche sind zum Beispiel:
- Umstellung auf Prepaid-Tarife
- Angebot von Basistarifen mit höherer Grundgebühr, aber niedrigeren Verbrauchskosten
- Begrenzung der Warenkorbgröße sowie gezielte Steuerung des Warenkorbmix
- Einführung kürzerer Vertragslaufzeiten
Voraussetzung ist die Fähigkeit zur Differenzierung: Die Wirksamkeit solcher Modelle steigt
mit der Fähigkeit, gefährdete Kundengruppen frühzeitig zu identifizieren.
7.
Nicht „gutes“ Geld, „schlechtem“ hinterherwerfen
Die Einführung wertebezogener Entscheidungsgrenzen
für den Forderungsverzicht verhindert unnötige Ausgaben
für die Klärung aussichtsloser Fälle.
Nicht jede Forderung rechtfertigt den vollen Klärungsund
Durchsetzungsaufwand. Bei geringem wirtschaftlichem
Wert, wiederholtem Klärungsbedarf oder absehbar
geringer Realisierungswahrscheinlichkeit ist ein gezielter
Verzicht oft effizienter als eine Fortsetzung des Prozesses
– insbesondere, wenn sich der Ressourcenaufwand
für die Fallklärung nicht mehr rentiert. Professionelle
Abbruchkriterien – etwa Mindestbeträge, definierte Fallkonstellationen
oder systemgestützte Schwellenwerte
– ermöglichen eine klare Priorisierung. Als ergänzende
Maßnahme kann in ausgewählten Fällen auch ein Forderungsverkauf
sinnvoll sein, um Liquidität zu sichern und
Prozesskosten zu vermeiden.
8.
"Wer Wind sät,
kann Sh*t-Storm ernten"
Auch berechtigte Kündigungen oder Sperrandrohungen
können beim falschen Empfänger zu medialer Aufmerksamkeit
führen.
Gerade bei empfindlichen Maßnahmen – wie Sperrandrohungen
von Energieversorgern oder gerichtlichen
Verfahren – ist eine Bewertung reputationsrelevanter
Risiken notwendig. Der Verbraucherzentrale Bundesverband
(vzbv) forderte beispielsweise während der
Lockdown-Phasen der Corona-Pandemie Strom- und
Gassperren auszusetzen.⁴ In Situationen mit medialem
Eskalationspotenzial sollte Forderungsmanagement
proaktiv kritische Fälle erkennen und in Abstimmung mit
Kundenservice und Rechtsabteilung adressieren. Klar definierte
Eskalationsstufen, spezifische Prüfprozesse für
risikobehaftete Kundengruppen sowie Freigabeprozesse
für Maßnahmen mit potenzieller Öffentlichkeitswirkung
sollten strukturiert in den Entscheidungsprozess
integriert werden. Zusätzlich trägt eine professionelle,
transparente und zielgruppenadäquate Kommunikation
entscheidend zur Vermeidung von Zahlungsausfällen bei.
9.
Den Kunden kennen
Eine effektive Kundensegmentierung bildet das Fundament
erfolgreichen Forderungsmanagements. Die
systematische Kategorisierung nach Kundenwert, Zahlungshistorie
und Risikoprofil ermöglicht differenzierte
Betreuungsstrategien und optimierte Ressourcenallokation.
Hochwertige Kunden mit temporären Zahlungsschwierigkeiten
erhalten andere Aufmerksamkeit
als Kleinkunden mit chronischen Zahlungsproblemen.
Gleichzeitig erlaubt eine fundierte Segmentierung die
Identifikation von Kunden, die für präventive Maßnahmen
geeignet sind, sowie solcher, bei denen schnelle
Eskalation wirtschaftlich sinnvoll ist. Diese datengetriebene
Herangehensweise maximiert sowohl Einzugsquoten
als auch Kundenzufriedenheit bei gleichzeitiger
Kostenoptimierung.
10.
Den richtigen Mix aus Empathie und Unberechenbarkeit finden
Das moderne Forderungsmanagement erfordert einen
ausbalancierten Ansatz zwischen Empathie und strategischer
Unberechenbarkeit. Zahlungsunfähige Kunden
benötigen verständnisvolle Kommunikation und
flexible Lösungen wie Ratenzahlungen oder Stundungen.
Zahlungsunwillige Kunden nutzen Informationen –
z. B. aus Foren oder Erfahrungsberichten – um gezielt
zu lernen, wie man Forderungsprozesse aushebelt oder
hinauszögert. Hier ist eine gewisse Unberechenbarkeit
in Timing, Intensität und Art der Maßnahmen erforderlich,
um solche Taktiken zu durchbrechen. Diese duale
Herangehensweise verhindert sowohl die Entfremdung
zahlungswilliger (aber temporär zahlungsunfähiger Kunden)
als auch die systematische Ausnutzung vorhersagbarer
Prozesse durch zahlungsunwillige Kunden.
QUELLEN.
¹Creditreform Wirtschaftsforschung: Unternehmensinsolvenzen in Deutschland – 1. Halbjahr 2025, 26.06.2025,
https://www.creditreform.de/fileadmin/user_upload/central_files/News/News_Wirtschaftsforschung/2025/Insolvenzen_in_
Deutschland/2025-06-26_AY_OE_analyse_UE-halbjahr-2025.pdf
²ZfK/Redaktion: Forderungsausfall-Risiken von Stadtwerke-Kunden aktuell so hoch wie nie, 21.11.2024, Forderungsausfall-Risiken bei Stadtwerke-Kunden aktuell so hoch wie nie: Zeitung für kommunale Wirtschaft.
https://www.zfk.de/unternehmen/nachrichten/forderungsausfall-risiken-von-stadtwerke-kunden-aktuell-so-hoch-wie-nie
³Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz: Wirtschaftliche Lage in Deutschland im April 2025, 24.04.2025,
https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/Redaktion/DE/Schlaglichter-der-Wirtschaftspolitik/2025/04/09-wirtschaftliche-lage.html
⁴Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv): Moratorium für Energiesperren, 01.12.2020,
https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2020/12/03/2020_12_01_stn_vzbv_energiesperren_corona_fin.pdf